Unser Projekt "Kriegsende" - Absichten und Überlegungen zum Ende des Zweiten Weltkriegs vor 80 Jahren
Das Ende des Zweiten Weltkriegs in Bretzenheim - ein Bretzenheimer erzählt
Wer waren die Alliierten in Bretzenheim, damals im März 1945?
Kriegsende! Heute denken wohl die meisten von uns an den Krieg in der Ukraine, Wir wünschen den Menschen in der Ukraine, dass dieser Krieg für sie bald zu einem guten Ende kommen möge!
Am 8. Mai 2025 jährt sich aber auch ein anderes Kriegsende, nämlich das Ende des 2. Weltkriegs vor genau 80 Jahren. Für die Älteren unter uns, deren Eltern oder Großeltern diesen furchtbaren Krieg sowie die Nazi-Zeit miterlebt haben, bekommt das Ende des 2. Weltkriegs durch den Ukraine-Krieg eine beklemmende Aktualität.
Fakten, Daten und Zahlen zum 2. Weltkrieg aus Mainz und Bretzenheim sind in der Vergangenheit sehr sorgfältig recherchiert worden. Allerdings gibt es heute kaum noch Zeitzeugen, die von den Erlebnissen, Gefühlen und Ängsten unsere Vorfahren erzählen können. Wie haben sie sich mit der Nazi-Zeit arrangiert? Wie haben sie die Eroberung und Besetzung durch die alliierten Truppen erlebt? Wie kam es, dass aus „60 Millionen Nazis“ über Nacht „60 Millionen Opfer“ wurden? Was ist damals passiert? Wer waren die „Sieger“? Was ist mit unseren jüdischen Mitbürgern passiert? Was können wir daraus lernen, vor allem für unsere heutige politische und soziale Problematik?
Der Verein für Heimatgeschichte Bretzenheim und Zahlbach hat sich deshalb zum Ziel gesetzt, mit vielen authentischen Dokumenten und noch lebenden Zeitzeugen der Beantwortung dieser Fragen möglichst nahe zu kommen. Einen ersten Eindruck bekamen wir von Dr. Heinz Speckert, bei Kriegsende 9 Jahre alt. Wir recherchieren weiter und werden regelmäßig darüber berichten!
Am 8. Mai 2025 jährt sich das Kriegsende des 2. Weltkriegs zum achtzigsten Mal. Heute gibt es kaum noch Zeitzeugen, die von den Erlebnissen, Gefühlen und Ängsten unsere Vorfahren erzählen könnten.
Eine Ausnahme ist Dr. Heinz Speckert, bei Kriegsende 9 Jahre alt, er hat also die Kriegszeit als Kind miterlebt. Bei einem Ortstermin im Februar 2025 bei seinem Elternhaus gab er uns Gelegenheit, in Kriegs- und Nachkriegszeit einzutauchen.
Vorkriegszeit
Heinz Speckerts Vater hatte in dem Anwesen in der Wilhelmsstraße 42, in dem insgesamt 4 Familien ihre Häuser hatten, eine Wagner-Werkstatt. Bretzenheim bestand in diesen Jahren vorwiegend aus Bauernhäusern und Handwerksbetrieben, Kanalisation gab es im Ortszentrum noch keine, das Abwasser floss in den Rinnsteinen Richtung Zaybach. Als Toiletten dienten die klassischen „Plumpsklos“. Sie wurden in Jauchegruben entsorgt, regelmäßig wurde deren Inhalt von Bauern als Dünger aufs Feld gebracht. Im Winter froren die „Bächlein“ regelmäßig zu, ideal für Kinder wie dem kleinen Heinz zum „Schlittern“ oder sogar Schlittschuhlaufen. Auch Schlittenfahren war möglich, nämlich direkt neben dem Elternhaus die Röntgenstraße herunter. Es gab damals auch jüdische Nachbarn, die Häuser in der Bäckergasse bewohnten. An dieser Stelle gibt es heute mehrere Stolpersteine, unweit der Wilhelmsstraße. Einer der Jungen war Schulkamerad von Heinz. Er konnte sich an eines seiner Bonmots erinnern – in Anlehnung an die berühmte Ju-52 nannte er sich beim Rodeln scherzhaft Jud-52. Auch gab es damals – wie heute – soziale Brennpunkte, wie z.B. die als „Klein-Moskau“ bekannte Siedlung an der Draiser Straße. Zwischen den Kindern dort und den „normalen“ Kindern in Bretzenheim bestand eine klare Trennung und Gegnerschaft, bis hin zum Sport in der TSG. Die Arbeiterkinder betrieben Schwerathletik, das elegante Turnen wurde von den „normalen“ Kindern betrieben. In dieser Welt wuchs der kleine Heinz auf.
Kriegszeit
Die Kriegszeit bedeutete einen klaren Einschnitt in das Bretzenheimer Leben. Heinz‘ Vater, wie die Mehrzahl der anderen wehrfähigen Männer, wurde eingezogen. Nach den ersten Bombenangriffen 1941 bauten alle Nachbarn in der Wilhelmsstraße 42 einen gemeinsamen Bunker. Er war für 4 Familien ausgelegt und direkt nach hinten in den Hang hinein gebaut. Auch benachbarte Anwohner folgten ihrem Beispiel. Die Bunker wurden baulich miteinander verbunden, um im Extremfall einen Fluchtweg zu haben.
Der erste Bombenangriff 1941 verlief vergleichsweise glimpflich. Die Bombe fiel direkt auf die Wilhelmsstraße, genau auf die Einmündung der Röntgenstraße. Zwei Häuser wurden zerstört. Es gab dabei keine Toten. Weitere Bombenangriffe, vor allem 1944, waren schwerwiegender. Einmal fiel eine Bombe direkt neben den Bunkereingang der Familie Speckert. Der Bunker blieb intakt, jedoch wurde durch das Feuer der Sauerstoff schnell verbraucht. Heinz Speckerts Großmutter und eine Tante erstickten zusammen mit 3 weiteren Opfern. Heinz Speckert konnte zusammen mit anderen Kindern entkommen. Es fielen auch Bomben mit Langzeitzündern, auch direkt in den Hof seines Elternhauses. Kriegsgefangene mussten diese Bomben räumen.
Insgesamt fielen während des Krieges 5 Bomben auf Heinz Speckerts Elternhaus. Mit zunehmendem Bombenkrieg änderte sich das Alltagsleben. Beispielsweise wurde der Schulbetrieb immer wieder durch Bombenalarm unterbrochen. Heinz empfand sich dabei als "privilegiert", weil er bei Bombenalarm – wie andere nahe bei der Schule wohnenden Kinder - nach Hause durfte. Er musste 1942 allerdings auch miterleben, wie die jüdischen Nachbarn verhaftet und per LKW abtransportiert wurden.
Der Krieg zeigte Folgen in der Denkweise der Bretzenheimer. So ist beispielsweise seit 1943 kein Protokoll der Feuerwehr mehr zu finden. Auch die Kirchentagebücher der evangelischen Kirchengemeinde (heute die Philippus-Gemeinde) wurden seit 1944 nicht mehr geführt. Über die Gründe kann man nur spekulieren – vermutlich aus Furcht vor den Alliierten nach dem Krieg. Es war vielleicht auch die Wiederentdeckung des eigenen moralischen Gewissens.
Kriegsende
Das Kriegsende für Bretzenheim kam dann im März 1945. Heinz Speckert konnte sich noch erinnern, dass die US Army im Ober-Olmer Wald Station gemacht hatte, denn einige Nachbarskinder liefen heimlich hin, um zu sehen, was dort passierte. In diesen Tagen wurden auch die Jauchegruben wieder wichtig. Waffen sowie Hitler-Bilder oder andere „belastende“ Dokumente wurden dort hineingeworfen, damit die Sieger auch ja nichts Verdächtiges finden würden. Als die Amerikaner dann nach anfänglichem Artilleriefeuer in Bretzenheim einrückten, gab es keinen Widerstand. Die Bevölkerung hatte weiße Fahnen an die Fenster gehängt. Es gab zwar an der Kreuzung Essenheimer Straße zur Hinkelsteiner Straße eine Panzersperre, auch eine Flak-Stellung am Friedhof, diese waren aber nicht mehr bemannt.
Man kann aus der Erzählung von Heinz Speckert folgern, dass es in den Tagen vor dem US-Einmarsch keine deutsche Ordnung mehr gab – sonst hätten seine Kameraden kaum den Weg zum Ober-Olmer Wald gehen können.
Nachkriegszeit
Nach Einmarsch der Amerikaner wurden viele Wohngebäude konfisziert und die Familien in andere Gebäude evakuiert, beispielsweise in eine Gaststätte im Ortszentrum. Heinz und andere Kinder schliefen dort nachts im Keller auf den Kartoffeln. Etliche der als Besatzung zurückgelassenen GI’s machten abends regelrechte Jagd auf Frauen. So konnte auch eine Tante, damals 32 Jahre alt, nur knapp entkommen, als sie von einem GI unter dem Vorwand, den Bunker zu sehen, bedrängt wurde. Man warnte sich gegenseitig vor Vorfällen dieser Art. Wenn man einen GI sah, wurden Nachbarinnen durch Klopfen an die Hoftore gewarnt. Doch nicht immer war das erfolgreich.
Als dann im Juli die Amerikaner durch Franzosen abgelöst wurden, rückten marokkanische Soldaten in Mainz ein. Auch das war in Heinz Speckerts Erinnerung eine spannungsreiche Zeit. Sie waren von einer Kavallerieeinheit, die Pferde hatten sie in verschiedenen Höfen untergestellt. Beim Konfiszieren des Strohs kam es zu mancher kritischen Situation, wenn Verstecke für Waffen oder anderes unter dem Stroh zum Vorschein kamen.
Insgesamt kam es in der Nachkriegszeit wohl zu einer schnellen Normalisierung. Eine nette Anekdote, wie Heinz mit anderen Klassenkameraden verbotenerweise zu dritt auf einem Motorrad in die Innenstadt zum Kino fuhr, verrät beginnende Lebensfreude und die Lust, den Ordnungshütern ein Schnippchen zu schlagen. Nach seiner Entlassung stellte Heinz Speckerts Vater seine Wagner-Werkstatt auf Karosseriebau um. Diese Werkstatt gibt es heute noch, direkt oberhalb des alten Anwesens, mit Zufahrt von der Bert-Brecht-Straße / Ecke Röntgenstraße.
Der westliche Teil Deutschlands bis zum Rhein wurde 1945 in der sog. „Operation Undertone“[1] erobert. Innerhalb von nur 12 Tagen, vom 12. - 24. März 1945, kämpften sich die alliierten Truppen von den Ardennen bis zum Rhein. Dabei wurde die 1. und 7. deutsche Armee komplett aufgerieben, 90 000 Soldaten gingen in Gefangenschaft, 113 000 wurden getötet.
Die US-Truppeneinheit[2], die Mitte März auf Mainz vorrückte, war die 90. Infanterie-Division, die seit der Landung in der Normandie (Utah Beach) am 06. Juni 1944 ununterbrochen im Kampfeinsatz war. Die Soldaten hatten den Spitznamen „Tough´Ombres“ (harte Kerle) – abgeleitet von ihrem Truppenzeichen T/O und der Herkunft ihrer Soldaten vorwiegend aus Texas und Oklahoma.
Bis zum 20. März hatte ihr 3. Bataillon (358. und 359. Infanterie-Regiment), aus Richtung Bad Kreuznach kommend, Quartier im Ober-Olmer Wald bezogen. Am 21. März begannen sie nach anfänglichem Artilleriefeuer den Vormarsch über Bretzenheim und Hechtsheim nach Mainz. In der Stadt trafen sie allerdings noch einen Tag lang auf deutsche Gegenwehr ("stiff resistance"), erreichten aber am Nachmittag des 22. März den Rhein. Bretzenheim selbst erwähnt der sonst sehr detaillierte Bericht nicht, dort blieb offenbar alles ruhig.
[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Operation_Undertone
[2] XII Corps, Spearhead of Pattons 3rd Army https://cgsc.contentdm.oclc.org/digital/collection/p4013coll8/id/3147
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